Donnerstag, 22. November 2007

Glück


Ich kannte es sozusagen von Kindesbeinen an. Will meinen, ich hatte die Gerstenfelder im Wind rauschen hören, und ich hatte aus dem Bach getrunken, wo es seinen Ursprung hatte. Auch den Hopfen hatte ich zwischen den Fingern gerieben, um mich an seinem Aroma zu berauschen, mit dem es vielleicht gewürzt war. Und natürlich hatte ich dem Meister zugesehen, der es bereitete, ihn für seine Ruhe und Klarheit bewundert, und für die Geduld, die er brauchte, um das wochenlange Reifen zu ertragen.
Jetzt also steht es vor mir. Die tiefgoldene Farbe erinnert noch ein wenig an die Sonne über den Gerstenfeldern. Wenn geerntet wird, spürt man am frühen Morgen manchmal schon den ersten kühlen Hauch des kommenden Herbstes, und im klaren Himmel sammeln sich die ersten Vögel für den langen Weg nach Süden.
Außen verdichtet sich der feuchte Belag des Glases zu einzelnen Tropfen, welche sich herunter rinnend eine Straße durch das Kondensat bahnen, unweigerlich auf dem Weg zu ihrem Ende voranstrebend. Wenn sie angelangt sind, wird ein Stück Papier sie aufsaugen, eigens dafür angelegt, das Hemd des Genießers zu schonen und seine Krawatte zu retten.

Der Schaum ist keine feste Größe. Tausende von kleinen Perlen entstehen aus dem Nichts. Wenn man das Schauspiel von nahe beobachtet, erkennt man die Bewegung. Die kleinen Perlen wandern nach oben, einige verbinden sich zu größeren, sie drücken von unten gegen die Decke und doch gelingt es ihnen nicht, sie zu heben. So platzen sie, hinterlassen ein winziges Rinnsal der kostbaren Flüssigkeit, welche sich entlang der nachstrebenden Perlen nach unten verliert. Eine Bewegung stellt sich gegen die andere, sie kämpfen miteinander und doch gibt es keinen Sieger. Die Schaumdecke senkt sich langsam, gibt den oberen Rand des Glases frei, im Vergehen entsteht sie wieder neu.

Wenn man den nun entstandenen Leerraum über dem Schaum nutzt, um die Nase so richtig hineinzusenken, den Eindrücken freien Lauf lässt, sich dem Duft hingibt, dann spürt man das feine Aroma aus Hopfen und Hefe. Ein bisschen nach frischen Kräutern darf es riechen, aber nicht nach Grass; ein wenig Maroni oder Karamell tut ihm gut, aber weder Rührei noch Palatschinken. Schnuppern genügt nicht, man muss den Duft in sich hineinsaugen, an allen Riechzellen vorbeischleusen und eine Millisekunde in der Nase belassen, um ihn voll zu erleben.
So gut kann nur ein Bier von zu Hause sein. Ein köstlicher Moment kündigt sich an.
Der erste Schluck.

Das Ende


Zuerst spürte er ein unangenehmes Jucken in den Augen. Durch Reiben verstärkte es sich, und die Lider begannen anzuschwellen.
Dann schwollen auch die Nasenschleimhäute. Die Augen waren stark irritiert. Er beschloss, Augentropfen zu suchen. Auf dem Weg zum Bad begann er zu husten. Der Hustenreiz verstärkte sich, die Augen waren jetzt stark geschwollen.
Von erneutem Husten geschüttelt tastete er sich fieberhaft durch die Arzneimittelvorräte. Er musste mehrfach niesen. Seine Brille war von feinen Tröpfchen überzogen. Die Augentropfen fehlten. Aber er fand ein Antiallergicum.
Er wollte eine Tablette mit viel Flüssigkeit einnehmen, wurde aber immer wieder von Hustenkrämpfen unterbrochen. Er atmete schwer. Jetzt begann das Herz zu rasen. Er konnte kaum mehr Luft bekommen. Die Lidfalten über den Augen hatten die Grösse von Ohrläppchen angenommen und quollen wie fette Pilze über die Augäpfel bis zu den Pupillen. Seine Nasenschleimhäute hatten ihr Volumen verzehnfacht. Der Kopf drohte zu platzen. Er legte die Brille auf ein Sims und wusch sich hektisch mit kaltem Wasser ab. Er atmete schnell und pfeifend.
Mühsam rettete er sich unter die Dusche. Das Wasser tat gut, aber die Hustenkrämpfe wollten nicht enden. Er würgte, keuchte, stöhnte und zuckte. Die ganze Muskulatur verkrampfte sich im Kampf gegen den Sauerstoffmangel. Er hätte gerne um Hilfe gerufen, aber die Stimmbänder brachten keinen Ton heraus. Die Bronchien brannten. Das Allergiemittel wirkte noch nicht. Ein stechender Schmerz im Magen. Die Halsschlagader drohte zu platzen. Als er fühlte, wie die Kräfte nachließen, suchte er tapsend nach einem Halt. Er bekam noch den Duschschlauch zu fassen und riss diesen aus der Halterung, als er in sich zusammenfiel.
Dort, wo er auf den Rand der Duschwanne aufgeschlagen war, begann er ein wenig zu bluten. Dieses Blut verwirbelte sich mit dem Duschwasser. Es war kaum von dem roten Auswurf zu unterscheiden, der ihm aus dem Mund stürzte. Er krümmte sich zu einem Halbmond zusammen und stiess sich in einer letzten, kraftvollen Zuckung noch einmal ein Stück hoch. Ein nicht enden wollender Hustenkrampf schüttelte ihn, bis ihn alle Kraft verlassen hatte. Er fiel zurück in die halbvolle Wanne, sein Kopf blieb unter der Wasseroberfläche.
Er war überrascht, wie schnell es gegangen war.

Lesen bildet

Anstrengend ist es zwar, aber es muss doch einen Grund haben, dass immer mehr Papier produziert wird (nicht nur für Tempo und Kleenex). Schließlich hat das e-book sich nicht durchgesetzt, vielleicht auch deshalb, weil manche keinen Bildschirm mehr brauchen, um das Flimmern vor den Augen zu sehen. Wer sich lange Texte sparen will, kauft einen schönen Bildband (siehe Liste!).

Wie ist die Zeitung doch interessant!

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Wie ist doch die Zeitung interessant
für unser liebes Vaterland !
Was haben wir heute nicht alles vernommen !
Die Fürstin ist gestern niedergekommen,
und morgen wir der Herzog kommen,
Hier ist der König heimgekommen,
dort ist der Kaiser durchgekommen,
bald werden sie alle zusammenkommen -
Wie interessant ! wie interessant !
Gott segne das liebe Vaterland !

Wie ist die Zeitung doch interessant
für unser liebes Vaterland !
Was ist uns nicht alles berichtet worden !
Ein Portepeefähnrich ist Leutnant geworden,
ein Oberhofprediger erhielt einen Orden,
die Lakaien erhielten silberne Borden,
die höchsten Herrschaften gehen nach Norden,
und zeitig ist es Frühling geworden -
Wie interessant ! wie interessant !
Gott segne das liebe Vaterland !

Hoffmann v. Fallersleben, 1841